Einladung zur kritischen Suchbewegung
Freitag, 28. Oktober 2022, um 19:30 Uhr
im Haus der Wissenschaft, Sandstr. 4/5, Großer Saal
Die drei-dimensionale Krise Infektion, Intervention, Inflation: Ökonomisch zerstörerische, sozial spaltende Inflation bewältigen
Vortrag und Gespräch mit
Prof. Dr. Rudolf Hickel
Verehrte Empfänger unserer Einladungen,
liebe Freunde Kritischer Suchbewegungen!
Angesichts der aktuellen Situation scheint uns dieser Vortrag von besonderer Brisanz zu sein. Prof. Rudolf Hickel wird die aktuelle Krisensituation analysieren, die eine dreidimensionale Komplexität besitzt. Unter dem leitenden Gesichtspunkt der Inflation kommen auch gleichzeitige hochproblematische Phänomene – Corona und russischer Angriffskrieg – zur Sprache. Der Referent hat im Rahmen der „Kritischen Suchbewegung“ schon einige vielbeachtete ökonomisch-politische Vorträge gehalten.
Über sein Thema schreibt er:
Infektion steht für Corona, Intervention für den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und Inflation für die ausgelöste sozial-ökonomische Spaltung. Diese Phänomene kennzeichnen die dreidimensionale, miteinander verflochtene aktuelle Krisenkonstellation. Sie erfordert eine „Zeitenwende“ im ökonomischen Denken und politischen Handeln. Nicht erst seit der Infektion belegen gestörte Lieferketten die Krise der Hyperglobalisierung. Jetzt rächt sich die Konzentration auf die Standorte irgendwo in der Welt, die wegen Ausbeutung vor allem von Kindern und Frauen, Diskriminierung auch von Minderheiten wie die Uiguren in Nordwesten Chinas und ökologischer Zerstörung „billig“ sind. Dazu kommt die bittere Widerlegung der These von der ordnungspolitischen Überlegenheit der profitwirtschaftlich getriebenen Märkte gegenüber dem demokratischen Staat. Staatliche Daseinsvorsorge wird wiederentdeckt und Politik im Dienste der Sustainabiltiy zum Imperativ. Die neoliberale Schuldenbremse entpuppt sich als Bremse für Zukunftsinvestitionen. Schließlich demontiert die Corona-Pandemie als kollektives Bad-Goods den sozial leeren, egozentrischen Besitzindividualismus, den der Profitwirtschaft dienenden Liberalismus.
Unter dem Stichwort Intervention kommt die sich auch in Folge des Krieges gegen die Ukraine austobende gesamtwirtschaftliche Krise mit den Eckwerten steigende Inflation bei den privaten Haushalten auf der einen Seite und Rezession, d.h. Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion auf der anderen Seite, hinzu. Das sperrige Kofferwort Rezfaltion macht die Runde. Die Ursachen der Rezession sind klar. Allerdings dominiert beim Streit über die Ursachen der Inflation das marktfixierte Denken: Die monetäre Übernachfrage, getrieben durch lockere Geldpolitik, einen ausgabenwütigen Staat und Gewerkschaften im tarifpolitischen Muster der Lohn-Preis-Spirale, wird nach der Art des Monetarismus à la Friedman zur Ursache stilisiert. Dabei handelt es sich unübersehbar um eine importierte Angebotsinflation, in deren Mittelpunkt die Preistreiber Energie, andere Rohstoffe sowie Nahrungsmittel stehen. Es gibt allerdings nur längerfristig beeinflussbare Hebel zur Bekämpfung dieser Preistreiberei: Abbau der riskanten Lieferketten durch ein „Friendly Reshoring“ (Jane Yellen) von Produktionsstätten beispielsweise zurück nach Europa, Reduzierung der Monopolmacht (vor allem Mineralölkonzerne) sowie Einschränkung bis hin zu Verboten von rein spekulativen Geschäften auf den Warenterminbörsen. Die Geldpolitik ist jedoch machtlos gegenüber der importierten Angebotsinflation. So lässt sich der expandierende Gaspreis nicht mit den geldpolitischen Instrumenten gegen die monetäre Übernachfrage stoppen. Dennoch wird unter dem massiven Druck eher symbolisch die Zinswende durchgesetzt. Die Preistreiber zeigen sich jedoch unbeeinflusst. Vielmehr wächst der Druck in Richtung Produktionsrückgang durch die steigenden Zinsen für die Fremdfinanzierung, die Unternehmen gerade jetzt in Anspruch nehmen müssen. Unter dem Druck der teils hysterischen Öffentlichkeit ist Geldpolitik heute eher durch machtvolle Ohnmacht gekennzeichnet.
Dieser Vortrag dient der Erläuterung dieser Zusammenhänge. Da jedoch das Instrumentarium, kurzfristig die Inflation erfolgreich zu bekämpfen fehlt, konzentriert sich die Debatte abschließend auf Maßnahmen des sozialen Ausgleichs für Inflationsverluste. Denn Inflation wirkt zutiefst sozial ungerecht. Die am unteren Ende der Einkommenshierarchie stehen sind die Verlierer. Ausführlich begründet wird die Ablehnung der Gaspreisumlage zugunsten der Verstaatlichung von Teilen der Energiewirtschaft. Vorzug wird der Deckelung der Gas- und Strompreisbremse durch die staatliche Subventionierung des Grundbedarfs eingeräumt. Hinzukommen müssen Rettungsprogramme für die Wirtschaft und der Ausbau der Kurzarbeit zur Überbrückung der Krise. Für diese Entlastung- und Unterstützungsmaßnahmen lohnt sich der Einsatz öffentlicher Kreditaufnahme und damit der Verzicht auf die Schuldenbremse. Darüber hinaus wird für die Sondersteuer auf Übergewinne in der Energiewirtschaft – das sind in Abgrenzung zu Normal- und Pioniergewinnen aktuelle Krisengewinne – geworben. Hier geht die Bundesratsinitiative aus Bremen in die richtige Richtung.
Am Ende wird unter der populistischen Formel „Deutschland wird ärmer“ gefragt, wer die vielen Verlierer gegenüber den wenigen Gewinnern dieser Inflation sind.
Über unseren Referenten:
Rudolf Hickel, Jahrgang 1942, ist Wirtschaftswissenschaftler, war Hochschullehrer für Finanzwissenschaft an der Universität Bremen, Mitbegründer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und von 2001 bis 2009 Direktor des IAW (Institut Arbeit und Wirtschaft), Mitherausgeber der Blätter für deutsche und internationale Politik
Herzliche Einladung!
Mit freundlichen Grüßen
Gert Sautermeister und Gerhard Vinnai